Das große Hochwasser von 1909
Erika Scherze
Dipl.-Geol., Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg
Unter den großen Hochwassern, die die Nürnberger
Geschichte zu verzeichnen hat, ist das
Hochwasser vom 5. Februar 1909 das mit dem
höchsten Wasserstand. An vielen Stellen der
Altstadt lassen sich die Hochwassermarken finden,
die die damals erreichte Wasserhöhe dokumentieren.
Die beeindruckendste Stelle ist dabei am Eingang des heutigen Cafes Casa Pane (ehemaliges Bäumlersches Haus) am Hauptmarkt, wo die Hochwassermarken vieler Jahrhunderte wieder angebracht wurden. Für das Hochwasser von 1909 muss man den Kopf in den Nacken legen und einen Punkt deutlich über dem eigenen Kopf anvisieren – so hoch stand damals das Wasser. Das große Hochwasser bedeckte den gesamten Hauptmarkt bis über die Stufen des Schönen Brunnens. Aber nicht nur der große Marktplatz wurde in einen See verwandelt, auch alle niedrig gelegenen Straßen der Altstadt verwandelten sich in reißende Nebenflüsse der Pegnitz.
Menschen mussten unter schwierigen Bedingungen
zum Teil aus dem ersten Stock ihrer
Häuser gerettet werden. Es wird berichtet von
großen Schäden an Gebäuden und Warenbeständen,
kleinere Stege wurden ganz weggerissen,
wie der Fischersteg an der kleinen Insel
Schütt, größere Brücken wurden durch Kolke
gefährlich unterhöhlt und mussten aufwändig
saniert werden wie die Kanalbrücke in Doos,
aber auch viele Brücken der Innenstadt.
Uns Nachgeborene beschäftigen dabei vor allem
die Fragen: Wie kam es zu dem großen
Hochwasser und könnte das heute wieder passieren?
Wie entstand das große Hochwasser?
Die Analyse zeigt, dass einige Faktoren zusammenwirken mussten, damit die Pegnitz Hochwasser dieser Größenordnung führte:
- ein tiefgefrorener Boden
Ab dem 18. Januar 1909 war starker Forst zu
verzeichnen, so dass der Boden bis auf eineTiefe von 1 m gefroren war. Dadurch wurden in der Folgezeit das normale Eindringen des Wasser in den Boden verhindert und die üblichen unterirdischen Wasserwege durch den Karstplombiert: Alles Wasser musste an der Oberfläche abfließen.
- eine stattliche Schneedecke
Ab dem 31. Januar setzten ergiebige Schneefälle
ein, die zu einer dicken durchgehenden Schneedecke (und einem Verkehrschaos) führten.- ein plötzlicher Wärmeeinbruch
Die Temperaturen, die in den ersten Tagen des
Februars noch weit unter Null lagen, machten vom 2. bis zum 4. Februar einen Sprung in der
Größenordnung von 10 Grad.- ein starker Regen
Am 3. Februar setzte ein warmer SW-Wind
ein. Der Schneefall ging im Laufe des 4. Februar
in starken Dauerregen über. Dieser drang in die
lockere Schneedecke ein, wurde zunächst von
dieser aufgesogen, löste sie dann aber auf,
und die so verstärkten Wassermassen flossen
zu Tale.
Nachdem der Schnee weitgehend geschmolzen
war, bereitete eine neuerliche Kältewelle ab
dem 6. Februar dem Spuk ein Ende.
Die Hochwasserwelle baut sich
vor den Toren der Stadt auf
In Folge der oben angeführten Umstände begann in den frühen Morgenstunden des 4. Februar
das Wasser im gesamten Einzugsgebiet
der Pegnitz zunächst langsam zu steigen. Die
Pegelstände von Michelfeld, Hohenstadt, Hersbruck,
Lauf, Behringersdorf, Nürnberg (Museumsbrücke)
und Nürnberg (Lederersteg) zeigen
das Auf und Ab der Flutwelle.
Der Michelfelder Pegel (Entfernung nach Nürnberg:104 Flusskilometer) erreichte seinen Höhepunkt am 5. Feb., 4.00 Uhr und der Pegel Hohenstadt (52 km) am 5. Feb. um 14.00 Uhr
nachmittags, zu einem Zeitpunkt also, als in Nürnberg der Wasserstand bereits wieder zu sinken begann. Die Flutwelle der oberen Pegnitz
trug also nicht in vollem Umfang zum
Nürnberger Höchststand bei.
Von entscheidender Bedeutung waren dagegen
die Nebenflüsse im Hersbrucker Raum. Der
Hirschbach, der Högenbach und der Happurgerbach
brachten mit ca. 200 Kubikmetern
fast die Hälfte der Hochwassermenge. Kleinere
Beiträge lieferten noch Sittenbach, Hammerbach,
Schnaittach und mehrere kleine Bäche im
Raum Röthenbach.
Ihren Höchststand erreichten
die Pegel Hersbruck (Entfernung
nach Nürnberg 47
Flusskilometer) am 5. Feb.,
1.00 Uhr nachts und Lauf (26
Flusskilometer) um 4.00 Uhr
nachts und stehen damit in
direktem Zusammenhang mit
dem Höchststand an der
Nürnberger Museumsbrücke
am 5. Feb., 8.00 Uhr.
Während die Flutwellen vor
der Stadt sich langsam aufbauten,
zeigt der Pegel an
der Museumsbrücke einen
Steilanstieg zwischen 4. Feb.,
23.00 Uhr nachts und 5.
Feb., 2.00 Uhr morgens und
rasantes Weitersteigen bis
8.00 Uhr. Die Plötzlichkeit
dieses nächtlichen Ereignisses
traf die Nürnberger wenig
vorbereitet - die aus Hersbruck
und Lauf nach Nürnberg
weitergegebenen Nachrichten
klangen offenbar
nicht allzu dramatisch - und
schlug sich daher in hohen
Sachschäden nieder.
Der Grund für dieses überraschend
schnelle Ansteigen ist
in der topografischen Beschaffenheit
des Pegnitztales
begründet: Die erste Hochwasserwelle
verlief sich in
den breiten Talauen vor der
Stadt mit ihren großen Mäandern,
Altwässern und
Überflutungsflächen. Dies
spiegelt der kontinuierliche
Anstieg des Pegels Behringersdorf
wider. Erst als diese Stauräume aufgefüllt waren und sozusagen
überliefen, raste die Flutwelle auf die Stadt zu.
Die Wassermassen, die viel Platz in den breiten
Talauen gehabt hatten, wurden am Einfluss in
die Stadt in einem Nadelöhr zusammengezwängt
und türmten sich dadurch zu ungeahnter
Höhe. Die Pegnitz verließ ihr durch zahlreiche
Wehre und sonstige Einbauten noch
weiter eingeengtes Bett und ergoss sich in die
Nürnberger Altstadt.
„Mit unheimlicher Schnelligkeit war das Wasser
in den Nachtstunden gestiegen und sperrte
jeglichen Verkehr durch die inneren Stadtteile
ab. Sämtliche Brücken waren unpassierbar geworden.
Gleich einem wilden Strom schoß das
Wasser durch die Straßen.“ Nürnberger Chronik,
März 1909.
Am 6. Februar, als der größte Teil des Schnees
geschmolzen war, setzte wieder Frost ein und
stoppte den Wassernachschub. Der Abfluss gestaltete
sich in der Altstadt schneller als in den
Talauen westlich der Stadt, wie der langsame
Rückgang des Pegels Lederersteg zeigt. Hier
wirkte sich noch der Rückstau an der Dooser
Kanalbrücke aus, die mit ihrer geringen lichten
Weite wie ein Wehr auf die Wassermassen
wirkte.
Die Flut breitet sich in der Stadt aus
Die eintreffende Welle überflutete die tiefer
gelegenen Teile von Wöhrd und füllte die
Wöhrder Wiese auf bis auf eine Höhe von 1,5
m unter der Mauerkrone am Prinzregentenufer.
Die Fränkische Tagespost vom 5.Februar
1909: „Die Wöhrder Wiese gleicht einem großen
breiten Strom von schmutziggelbem Wasser. Dahertreibende Telephonmasten haben sich an Bäumen gefangen und bilden mit anderen
Gegenständen Wehre, über welche die
Wassermassen tosend stürzen.“Die Wassermassen zwängten sich durch die Brücken am Marientorgraben, ergossen sich in den Burggraben, bevor sie durch das Kasemattentor die Insel(n) Schütt überschwemmten. Es gab damals noch eine große und eine kleine Insel Schütt. Der nördlichste Pegnitzarm wurde im Zug der Flussregulierung zugeschüttet, auf der früheren kleinen Schütt steht heute das „Studentenhaus“. „Große Verheerungen richtete das rasende Element an der Insel Schütt an, wo es, eingeengt, sich mit elementarer Gewalt Luft schaffte. Der Fischersteg ist weggerissen und liegt längs dem Ufer am Sand, wo die alten malerischen Häuschen in der Gefahr schweben, von dem schwimmenden Steg erdrückt zu werden.“ Fränkische Tagespost, 5. Feb. 1909.
Neue Gasse und Tuchergasse verlaufen parallel zur Pegnitz und wurden deshalb zu Flüssen umfunktioniert. „Die neue Gasse, die Tucherstraße, der Spitalplatz sind in reißende Flüsse verwandelt. In kleinen Häusern steigt man vom 1. Stockfenster bequem in den Rettungskahn…
Am Obstmarkt schaut das Gänsemännchen ängstlich von seinem Sockel auf einen großen Wasserspiegel, der, 1 Meter hoch, immer höher zu steigen droht. Noch 20 m und das Wasser hat das neue Rathaus erreicht.“ Fränkische Tagespost, 5. Feb. 1909.
Dramatisches ereignet sich auch auf dem südlichen Pegnitzarm. Hier stand, mitten in den Fluss gebaut und nur von dem später abgerissenen Katharinensteg aus erreichbar, das „Gasthaus zur Pegnitz“. Die hier vom Fluss Eingeschlossenen mussten mit Leitern zum rettenden Ufer gebracht werden.
„Am unheimlichsten ist's zweifellos in der Spitalgasse und in der Plobenhofstraße, wo die Häuser bis zum 1. Stock vollständig unter Wasser stehen. Aus offenstehenden Oberlichtfenstern schwimmen Zigarrenkisten, Flaschen usw. davon…An der Fleischbrücke schießen die Wasser aus den Läden. Auf der anderen Seite, beim alten Fleischhaus, ist das Unglück unbeschreiblich. Von einzelnen Häusern sieht man kaum noch den 1. Stock…
Am gewaltigsten sieht der Hauptmarkt aus: Ein großer wildbewegter See, dessen südliche Seite von einem reißenden Strom durchzogen wird, alles mit sich nehmend, was nicht niet- und nagelfest ist. Um 10 Uhr stand das Wasser am Schönen Brunnen schon 40 cm hoch…Vom Hauptmarkt und von der unteren Karlsbrücke her schießtdas Wasser in weitem Strudel 1 – 2 Meter hoch durch die Weintraubengasse auf den Maxplatz“.
Fränkische Tagespost, 5. Feb. 1909.
Rettungs- und Versorgungsmanöver
Die vom Hochwasser eingeschlossenen Menschen
wurden zum Teil in mühseliger und abenteuerlicher
Weise aus ihren Häusern geholt.
Die Feuerwehr leistete Großes in diesen Tagen.
„Der Hausmeister im Amtsgericht an der Karlsbrücke
konnte mit seiner Familie mit knapper
Not vorm Ertrinken gerettet werden. Verzweifelt
stand er auf dem Fenster, nach Hilfe rufend,
während das Wasser immer höher und höher
stieg. Endlich konnte er mit seinen Angehörigen
auf einen Wagen gerettet werden.“ Fränkische
Tagespost, 5. Feb. 1909.Diejenigen, die in den oberen Stockwerken ihrer Häuser ausharrten, mussten mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Oft teilten sie ihre Bedürfnisse auf Papptafeln mit. Seile wurden über das Wasser gespannt und Pakete mit dem Nötigsten zu den Eingeschlossenen gezogen. „Die Bewohner der überschwemmten Stadtteile sind vielfach ohne hinreichende Nahrung. Die Feuerwehr bringt nach Kräften Hilfe. Aus mehreren Häusern wurden Notschüsse abgegeben.“ Fürther General-Anzeiger, 6. Feb. 1909.
Verkehrsprobleme
Schon vor Mitternacht des 4. Februar hatte die
steigende Flut alle Brücken der Altstadt unpassierbar
gemacht. Der Verkehr konnte nur noch
über die höher gelegenen Brücken am Ring
aufrechterhalten werden. Im Überschwemmungsgebiet
selbst waren Kähne ein wichtiges
Fortbewegungs- und vor allem Rettungsmittel.
Sie zu manövrieren erwies sich aber wegen
der starken Strömungen als schwierig. Eine der
ersten Maßnahmen nach dem Hochwasser wardaher, an vielen Stellen in der Stadt eiserne
Ringe anzubringen, durch die ein Seil gezogen
werden sollte, damit die Kähne nicht abtreiben.
Schäden
Mannigfache Schäden richtete das Hochwasser
an. Gerade bei dem ärmeren Teil der Bevölkerung,
der in dem überfluteten Bezirk wohnte,
wurden Hausrat und Wohnungseinrichtungen
unbenutzbar gemacht.
„Schauerlich hat in den engen Gassen und
Gäßchen, dem malerischen Bild Alt-Nürnbergs,
das entfesselte Element gewütet. Entkleidet
von aller Dekoration, heruntergerissen die Gardinen,
die Fenster offen – boten sich die Wohnungen
den Blicken der Vorübergehenden.
Wohnungen? Nein für diese Schlupfwinkel ist
nur das Wort Höhlen angebracht.“ Nürnberger
Chronik, März 1909.
Die Waren, der betroffenen Geschäfte waren
durch das Wasser und vor allem durch den
Schlamm verdorben, wenn sie nicht gleich
weggeschwemmt worden waren. Die noch
halbwegs brauchbaren Reste mussten zu Niedrigpreisen
verschleudert werden. Nicht wenige
Kaufleute und Bewohner der überschwemmten
Bereiche verloren ihre Existenzgrundlage. Häuser wurden baufällig und
mussten aufgestützt und renoviert
werden.
Aus den Straßen waren die
Pflastersteine gerissen worden,
es blieben große Löcher
mit Schmutzlachen. Einen
wesentlichen Anteil an der
Verwüstung hatte auch das
mitgeführte Treibgut, z. B.
dicke Balken, die sich wie Torpedos
in die Einbauten am Fluss gruben. Die
Holzstege in der Altstadt waren weggerissen
und auch die großen Brücken teilweise beschädigt.
„Beim Kasemattentor ist die Holzbrücke
vollständig vernichtet. Auch der Rotschmiedssteg
ist beschädigt. Der Kettensteg
ist durch das angeschwemmte Holz usw. so beschädigt,
daß er wohl neu errichtet werden
muß. Ebenso stark wurde der Steg beim Henkersteg
in Mitleidenschaft gezogen“. Fürther
General-Anzeiger, 6. Feb. 1909.
Alles in allem wird der Schaden, den das Hochwasser
anrichtete, auf über 3 Millionen Reichsmark
geschätzt, eine Zahl, die uns gering vorkommt,
für die damalige Zeit aber, in der ein
Pfund Brot 16 Pfennige kostete, war sie gewaltig.