Die Hochwasserfreilegung von Nürnberg

Karl-Heinz Isert
Staatl. Wasserwirtschaftsamt Nürnberg

 

In der Chronik der Stadt Nürnberg wird bereits aus dem Jahre 1342 von einer großen Wasserkatastrophe berichtet. Bis zum heutigen Tage können seit dieser Zeit etwa 85 mittlere, 45 große und etwa 11 ausgesprochene Katastrophenhochwässer der Pegnitz aufgezählt werden. Die Pegnitz mit ihrem Einzugsgebiet von ca. 1100 km² und einer Normalwasserführung von 10 m³/s. hatte bei diesen Katastrophenhochwässern eine Wasserführung von über 300 m³/s.

Ein beträchtlicher Teil der Stadt Nürnberg, insbesondere ein Großteil der historischen Altstadt, lag im Überschwemmungsgebiet der Pegnitz und wurde bei den Katastrophenhochwässern oft schwer betroffen. So weiß die Chronik von den schrecklichen Folgen der Flutwellen zu berichten.

Neben Schäden an den Fluren, Straßen und Wegen der Stadt Nürnberg stürzten im Jahre 1784 ganze Häuserreihen ein, Brücken wurden unterkolkt und Stege mit fortgerissen. Nicht minder schwer war das Hochwasser im Jahre 1849.

Das bedeutendste Hochwasser der jüngeren Vergangenheit schließlich war das Hochwasser vom Jahre 1909. Man errechnete, dass dieses Katastrophenhochwasser 430 m³/s. führte. Zahlreiche Straßen, insbesondere die tief gelegene Altstadt, wurde bis zur Höhe des 1. Stockwerkes der Häuser überschwemmt. Der angerichtete Schaden ging in die Millionen Goldmark (1 Goldmark = ca. 3,32 Euro).

Planungen und Entwürfe zur Hochwasserfreilegung

Die, wenn auch in weiteren Abständen, wiederkehrenden großen Überschwemmungskatastrophen veranlassten den Stadtrat von Nürnberg, nach dem Hochwasser vom Jahre 1876 durch Prof. Frauenholz in München einen generellen Entwurf für die Hochwasserfreilegung der Altstadt ausarbeiten zu lassen.


Schon damals hatte man erkannt, dass die zahlreichen Triebwerkseinbauten in der Pegnitz mit den vielen Wasserrädern hemmend auf den Hochwasserabfluss wirkten. Insbesondere deshalb, weil die damit verbundenen festen Wehre ohne Grundablass waren und beim Steigen des Wasserspiegels kein größerer Durchflussquerschnitt freizugeben war.


Ebenfalls stellten die vielen Brücken sowie die niedrigen Bögen des Heilig-Geist-Spitales ein weiteres Hindernis dar. Schon in diesem ersten Entwurf war vorgesehen, die den Abfluss behindernden festen Wehre durch bewegliche Schützenwehre zu versehen und Flussverbreiterungen vorzunehmen. Im Bereich des Stadtgebietes waren solche Verbreiterungen des Flusslaufes jedoch nicht durchführbar.


Nach dem Hochwasser 1909 wurden die Planungen zur Durchführung der Hochwasserfreilegung wieder aufgenommen. Das damalige Hydrotechnische Bureau in München hatte in seinem Entwurf vorgesehen, die Hochwässer der Pegnitz in einem 3-km-Stollen, der unter dem Burgberg hindurchgeführt werden sollte,abzuführen. Doch auch dieses Projekt scheiterte an den hohen Kosten.

Der bayerische Staat aber hatte 1911 immerhin die Bedeutung der Durchführung der Hochwasserfreilegung erkannt. Er hatte die Pegnitz zum Fluss mit erheblicher Hochwassergefahr erklärt und damit die Aufgabe der Unterhaltungs- und Ausbaumaßnahmen an der Pegnitz dem Bezirk Mittelfranken übertragen, der einerseits wieder mit erheblicher Förderung des Unternehmens mit staatlichen Mitteln rechnen konnte.

Der 1. Weltkrieg und die unglücklichen Nachkriegsverhältnisse aber hatten das Projekt, welches bereits mit umfangreichen Regulierungsmaßnahmen bei Nürnberg-Doos und unterhalb des Lederersteges seinen Anfang nahm, wieder in Vergessenheit geraten lassen.

Während des letzten Krieges wurde die Altstadt nahezu vollkommen zerstört. Der Wiederaufbau der Altstadt erforderte aber mit in erster Linie auch den Ausbau der Pegnitz, deren Ufer, Stege, Triebwerk- und Stauanlagen fast restlos vernichtet waren. Ein Hochwasser in den ersten Nachkriegsjahren in dem Ausmaße wie 1909 hätte verheerende Auswirkungen gehabt.

So war es gerade die Oberste Baubehörde in München, die der Stadt Nürnberg vor dem Aufbau der Stadtviertel beiderseits der Pegnitz empfahl, Maßnahmen zur Hochwasserfreilegung der Altstadt zu treffen und wirtschaftlich und wasserbautechnisch vertretbare Regulierungsmaßnahmen auszuarbeiten.

Für die Planer ergaben sich infolge der Zerstörungen neue Gesichtspunkte: Da alle alten Triebwerksanlagen, deren Wehre das größte Hindernis für die früher geplanten Regulierungsmaßnahmen bildeten, vernichtet wurden, waren die Voraussetzungen gegeben, von dem Projekt des sogenannten Burgbergstollens abzugehen und das alte Projekt des Prof. Frauenholz wieder aufzugreifen, welches für die neuen Projekte manchen Hinweis gab.

Schließlich entstand ein Projekt des Dipl.-Ing. Hautum und der generelle Entwurf des Hauptamtes für Tiefbauwesen der Stadt Nürnberg, der im Jahre 1952 durch die Oberste Baubehörde im Prinzip genehmigt wurde. Nachdem in den Jahren 1950 bis 1954 einige Uferschutzbauten durch das damalige Straßen- und Flussbauamt Nürnberg ausgeführt wurden, übernahm 1954 das Wasserwirtschaftsamt Nürnberg infolge des 1. Gesetzes zur Staatsvereinfachung die weitere Planung und Bauleitung für die Hochwasserfreilegung von Nürnberg.

Durchführung der Hochwasserfreilegung

Die Regulierungsmaßnahme erstreckte sich von der Johannisbrücke bis oberhalb der Steubenbrücke. Ausgehend von einer festen Sohlenkote beim Lederersteg sah das Projekt vor, bei Einhaltung eines Sohlengefälles von 1:1000die Flusssohle zu vertiefen, das Flussbett auf das hydraulisch notwendige Profil zu verbreitern und möglichst alle störenden Einbauten in der Pegnitz zu beseitigen. Ferner waren die erforderlichen Uferschutzmaßnahmen zu treffen, um künftige Ausuferungen und schädliche Uferangriffe zu vermeiden.

Es war aber auch darauf Rücksicht zu nehmen, dass viele der alten Bauten in der Altstadt auf Pfahlroste gegründet sind, für deren weitere Erhaltung die Beibehaltung des bisherigen Grundwasserstandes erforderlich war.

Die Beseitigung der alten Stauanlagen ohne Errichtung neuer Stauanlagen hätte Nachteile zur Folge gehabt, die nicht zu übersehen gewesen wären. Deshalb mussten anstelle der alten, festen Wehre den Stau selbsttätig haltende, bewegliche Wehre eingebaut werden. Die Erhaltung alter, historischer Bauten, wie Fleischbrücke und Heilig-Geist-Spital, forderte außerdem noch besondere Baumaßnahmen. Es mussten die Widerlager der Bögen des Heilig-Geist-Spitals unterfangen und die Sohle mit einer Betonsohle gesichert werden.

Für die Beseitigung der Pegnitzenge zwischen Fleischbrücke und Museumsbrücke waren zwei Lösungen zur Wahl gestanden. Die in wasserbautechnischer Hinsicht günstigere Lösung der Verbreiterung der Pegnitz in diesem Bereich mit der Auflage der Neuerstellung der leischbrücke musste zurücktreten. Um die Fleischbrücke zu erhalten, wurde die Pegnitzenge durch den Hochwasserstollenbau umgangen. Diese Maßnahme kam schließlich im Jahr 1954 durch das Hauptamt für Tiefbauwesen zur Ausführung.

Die Hochwasserfreilegung umfasste unter anderen folgende wesentlichen Maßnahmen:

1. Die Erstellung des Weidenmühl-, des Nägelein-, des Katharinen- und des Bauriedelwehres.

2. Den Bau des Hochwasserstollens, von der Museumsbrücke bis unterhalb der Fleischbrücke.

3. Den Neubau der Museumsbrücke.

Von den durchgeführten Maßnahmen werden folgende eingehender beschrieben:

Die Museumsbrücke und der Hochwasserstollen

Die Flussenge zwischen der Fleischbrücke und der Museumsbrücke verschuldete bei Hochwässern beträchtliche Rückstauungen. Die Wassermassen fluteten dann vorwiegend bei der Großen Insel Schütt über die Ufer. Die Beseitigung dieser Flussenge war daher eine wesentliche Maßnahme der Hochwasserfreilegung. Es standen hier, wie bereits erwähnt, zwei Vorschläge gegenüber. Dem Wasserbauer erschien es richtiger, diese Flussenge durch Verbreiterung der Pegnitz zu beseitigen. Die Freunde zur Erhaltung der Altstadt jedoch legten Wert auf das Bestehen der bekannten Fleischbrücke.

Den verständlichen Wünschen zur Erhaltung alter, nicht im Kriege zerstörter Bauwerke wurde Rechnung getragen, indem man von der Museumsbrücke bis unterhalb der Fleischbrücke einen Hochwasserstollen erbaute.

Das Hauptamt für Tiefbauwesen der Stadt Nürnberg hatte für die Ausführung dieses Teilprojektes die Planung und die Bauleitung übernommen.
Der bayerische Staat und der Bezirk Mittelfranken haben für diese Maßnahme Zuschüsse in dem Umfang gegeben, wie sie für die sogenannte offene Verbreiterung auch gewährt worden wären. Im Zuge dieses Stollenbaues musste die alte Museumsbrücke abgebrochen werden. Die neue Brücke, die in Anpassung an die Verkehrsverhältnisse eine um 9,0 m breitere Fahrbahn erhielt, spannt sich wieder in zwei Bögen über die Pegnitz.

Ein dritter Brückenbogen dient als Stollenmund, der nur vom Heilig-Geist-Spital her gesehen
werden kann.

Der Stollen, der insgesamt 140 m lang ist, wurde in einer offenen Baugrube als Stahlbetonkonstruktion erstellt. Seine lichte Höhe beträgt 4,0 m; seine lichte Breite 10,0 m. Die Bemessung ist so erfolgt, dass der Stollen bebaut werden kann.

Dieser Bericht des Wasserwirtschaftsamtes Nürnberg wurde im Wesentlichen gegen Ende der Fünfziger Jahre verfasst. Seit der Hochwasserfreilegung, die im Jahr 1962 abgeschlossen wurde, hat es ein Jahrhunderthochwasser in Nürnberg nicht mehr gegeben. Die Schutzmaßnahmen konnten deshalb bis heute (2019) ihre Bewährungsprobe hinsichtlich der Funktionsfähigkeit noch nicht unter Beweis stellen.